"Es wird uns nichts geschenkt"
Hamburgs US-Generalkonsul Jason Chue engagiert sich beim CSD. Das hat auch etwas mit seiner Vergangenheit zu tun
Pride Magazin: Herr Generalkonsul, Sie sind seit knapp einem Jahr in Hamburg. Wie nehmen Sie die Stadt und die Metropolregion wahr?
Jason Chue: Ich bin wirklich froh, hier zu sein. Es ist eine sehr lebenswerte, internationale und aktive Stadt. Ich liebe es, in den unterschiedlichen Quartieren unterwegs zu sein und die vielen Restaurants, kulturellen Aktivitäten oder internationalen Konzerte zu erleben. Und natürlich Events wie den IDAHOBIT und den Christopher Street Day, die mich sehr inspirieren.
Pride Magazin: Haben Sie denn den CSD in Hamburg schon erlebt?
Jason Chue: Ja, das war an meinem ersten Wochenende in Hamburg! Ich habe die Stadt erkundet und überall Regenbogenfahnen gesehen. Als New Yorker, der selbst oft in den Pride Paraden mitgelaufen ist, habe ich mich darüber sehr gefreut. Das war ein guter Start.
Pride Magazin: Und haben Sie auch die queere Community schon kennengelernt?
Jason Chue: Ja, ich konnte schon viele Aktivist*innen der queeren Community kennen lernen, etwa von Hamburg Pride, aber auch aus der queeren jüdischen Community, dem Sport oder von Hein & Fiete. Es ist wunderbar zu sehen, wie offen Hamburg gegenüber der LGBTIQ+-Community ist. Gerade wenn man eine junge LGBTIQ+-Person ist, die hier aufwächst. Ich komme aus New York City und hatte all das nicht, als ich in den 80er-Jahren dort aufwuchs. Für mich war es eine große Ehre, am IDAHOBIT vor dem Hamburger Rathaus teilnehmen zu können.
Pride Magazin: Das US-Generalkonsulat beteiligt sich in diesem Jahr auch am Hamburg Pride. Wie wird sich das Konsulat einbringen, und was motiviert Sie dazu?
Jason Chue: Es ist eine große Ehre für mich, Gast in der Pride Night sein zu können. Und ich freue mich sehr, dass wir dazu beitragen können, dass es den ersten sogenannten Inklusionstruck geben wird, der Rollstuhlfahrer*innen die Teilnahme am CSD ermöglicht. Für uns sind Themen wie Diversity, Inklusion und Barrierefreiheit sehr wichtig. Wir möchten als Vertretung der Vereinigten Staaten den CSD unterstützen, aber vor allem Menschen mit Einschränkungen oder Behinderungen helfen, daran teilzuhaben. Und natürlich werden meine Kolleg*innen und ich auch in der CSD-Demonstration mitlaufen. Ich hoffe, dass es nicht zu heiß wird…
Pride Magazin: Sie selbst haben auch eine Vergangenheit als queerer Aktivist, ist das richtig?
Jason Chue: Ja, das stimmt. Ich hatte mein Coming-out in der High School und wurde schon früh zum Aktivisten. Zunächst als Mitglied des Gay and Lesbian Student Club, später bei Demonstrationen nach der Ermordung von Matthew Shepard, als wir gegen die Gewalt an LGBTIQ+ auf die Straße gingen. Wir haben damals mit friedlichen Straßenblockaden am Broadway in New York protestiert, bis uns die Polizei vertrieben hat. Ich schätze daher auch sehr die Arbeit der heutigen LGBTIQ+-Aktivist*innen. Veränderung geschieht nicht von alleine: Wir müssen stets für unsere Rechte und um deren Schutz kämpfen.
Pride Magazin: Das Motto des Hamburg Pride 2023 stellt die Selbstbestimmung von Trans-Menschen und den Kampf gegen Transfeindlichkeit in den Mittelpunkt. Aktuell erleben wir in den USA, dass z.B. eine transgeschlechtliche Abgeordnete in Montana von den Parlamentssitzungen ausgeschlossen wurde, aber auch die Verschärfung von Gesetzen und Bestimmungen in anderen Bundesstaaten, die sich gegen Drag Queens richten oder die Thematisierung von Vielfalt an Schulen. Wie bewerten Sie diese Entwicklungen in den USA?
Jason Chue: Wir erleben aktuell einige Rückschritte. Aber die Position der Biden-Administration ist hier eindeutig: Trans-Rechte sind Menschenrechte, die Rechte von LGBTIQ+ sind Menschenrechte! Die Gegenbewegungen zeigen, dass wir weiter für unsere Rechte kämpfen und sie schützen müssen. Es wird uns nichts geschenkt, obwohl wir viel erreicht haben. Auch in Deutschland: Sie haben die Ehe für alle, offen homosexuelle und trans Politiker*innen und Prominente, Christopher Street Days und Regenbogenfahnen überall. Das ist wunderbar. Aber es gibt gleichzeitig eine steigende Zahl von Übergriffen auf transgeschlechtliche oder homosexuelle Menschen, und es gibt eine politische Bewegung, die sich gegen diese Minderheiten richtet. Wir müssen also weiterhin sichtbar sein, für gesellschaftlichen Austausch und eine entsprechende Bildung eintreten, damit beispielsweise die Rechte von trans Menschen als selbstverständlich wahrgenommen werden. Deshalb sind der CSD oder IDAHOBIT so extrem wichtig.
Pride Magazin: Wie unterscheidet sich Ihrer Beobachtung nach die Pride-Bewegung, aber auch generell die Situation queerer Menschen in Deutschland und den Vereinigten Staaten?
Jason Chue: Ich sehe eher Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Etwa das Recht auf gleichgeschlechtliche Ehen, die großen Pride-Demonstrationen. Aber auch die gleichen Herausforderungen. Es ist sicherlich in beiden Ländern für LGBTIQ+ in den großen Städten einfacher, offen zu leben, als in kleinen Städten oder auf dem Land, wo es häufig noch mehr Diskriminierungserfahrungen gibt. Nehmen Sie den Mittleren Westen oder den Süden in den USA…
Pride Magazin: …oder ländliche Regionen und kleinere Städte bei uns. Sie sind ja auch für Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bremen zuständig.
Jason Chue: Ja, das ist sicherlich vergleichbar. Deshalb freue ich mich, dass ich in diesem Sommer auch von Rostocks Oberbürgermeisterin Eva-Maria Kröger, die auch Vorstandsmitglied des CSD ist, als Gastredner zur Rostock Pride eingeladen wurde.
Pride Magazin: Ist es schwierig für Sie als Diplomat und Repräsentant Ihres Landes, offen schwul aufzutreten?
Jason Chue: Heute nicht mehr, aber in früheren Zeiten schon. In der Vergangenheit waren offen lebende Homosexuelle in den USA vom diplomatischen Dienst sogar noch ausgeschlossen. Damals, Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre, galten sie als psychisch krank. Heute gibt es eine queere Mitarbeiter*innengruppe im Außenministerium, viele offen homosexuelle Botschafter*innen, und mit Jessica Stern eine Transfrau als Sondergesandte für die Rechte von LGBTIQ+. Das zeigt, wieviel wir seither erreichen konnten.
Pride Magazin: Für diesen Fortschritt braucht es aber auch Verbündete in der Mehrheitsgesellschaft.
Jason Chue: Absolut. Darum hat unser Außenminister Anthony Blinken am International Transgender Day of Visibility erklärt, dass die Rechte von Transgender Menschenrechte sind, und betont, dass es noch viel zu tun gibt, um sicherzustellen, dass alle trans, nicht-binären und nicht gender-konformen Personen ein authentisches, sicheres und würdevolles Leben führen können. Er sagte: „Trandsgender-Personen verdienen es, frei von Gewalt und Diskriminierung und Stigmatisierung zu leben, und wir rufen unsere Partner auf der ganzen Welt auf, sich uns anzuschließen und für eine Welt zu kämpfen, in der jeder sicher und offen als er selbst leben kann, und in der Sichtbarkeit gefeiert und nicht angegriffen wird.“
Pride Magazin: Wie gehen Sie selbst mit Diskriminierungserfahrungen um?
Jason Chue: Ich habe erst kürzlich in einem Podcast über meine Identität als asiatischer Amerikaner gesprochen, jetzt spreche ich hier über meine Identität als schwuler Mann. Es ist wichtig, über Intersektionalität und diese unterschiedlichen Kategorien zu sprechen, die uns als Menschen ausmachen. Das habe ich auch in meiner Rede beim IDAHOBIT in Hamburg getan und gesagt: „Als US-Amerikaner mit chinesischen Eltern stoße ich auch auf Vorurteile gegenüber meinem Aussehen. Intersektionale Diskriminierung wirkt sich nicht nur auf das Wohlbefinden des Einzelnen aus, sondern führt auch zu systemischen sozialen Ungerechtigkeiten. Daher ist es wichtig, die Verflechtung verschiedener Formen von Diskriminierung zu erkennen, und auf die Schaffung einer gerechteren Gesellschaft hinzuarbeiten.“
Pride Magazin: Wie kann das gelingen?
Jason Chue: Wir müssen in unserer LGBTIQ+-Community zusammenhalten und die am meisten angefeindeten Menschen schützen und unterstützen. Die berühmte schwarze lesbische US-Aktivistin Audre Lorde beschrieb es so: „Wir können uns nicht den Luxus leisten, nur eine Form der Unterdrückung zu bekämpfen. Wir können es uns nicht leisten zu glauben, dass die Freiheit von Intoleranz nur das Recht einer bestimmten Gruppe ist.“ Audre Lorde sprach von der Verantwortung von uns allen, gegen Diskriminierung zu kämpfen. Deshalb ist es für mich äußerst wichtig, die Trans-Community zu unterstützen. Sie steht aktuell vor den größten Herausforderungen.