Vertrauen schaffen

Die Hamburger Arbeitsagentur beteiligt sich seit mehreren Jahren am CSD- Deren Chef Sänke Fock erklärt, was es damit auf sich hat

Pride Magazin: Herr Fock, die Hamburger Agentur für Arbeit engagiert sich auch in diesem Jahr wieder beim CSD. Warum ist das wichtig?

Sönke Fock: Wir bringen Menschen und Arbeit zusammen, und da gehört es dazu, sich zu begegnen und Gesicht zu zeigen – als Institution, als Dienstleister, aber insbesondere mit den Kolleginnen und Kollegen, die das Gesicht der Agentur für Arbeit sind, ganz gleich, ob sie als Beauftragte für Chancengleichheit unterwegs sind oder als Vermittler*in, Berater*in, Sachbearbeiter*in, oder Führungskraft. Wo Menschen unser Knowhow und unsere Erfahrung in Anspruch nehmen wollen, ist nicht nur Fachkompetenz gefordert. Es ist auch eine Vertrauensfrage. Uns auch beim CSD erleben zu können und kennenzulernen, ist eine wichtige Brücke. Das zahlt auch auf das Vertrauen ein.

Pride Magazin: Das diesjährige CSD-Motto „Selbstbestimmung jetzt! Verbündet gegen Transfeindlichkeit“ hat zwei wesentliche Aspekte: Die politische Forderung nach der Abschaffung des Transsexuellengesetzes, sowie die dafür notwendige Solidarität der Mehrheitsgesellschaft. Wie kann sich eine Behörde wie die Agentur für Arbeit hier positionieren?

Fock: Wir sind ein historischer Zweig der Sozialversicherung, der immer wieder in existenziellen Fragen gefragt ist, klassisch verknüpft mit dem Thema Arbeitslosigkeit und Existenzsicherung. Insofern ist der Solidaritätsgedanke Teil unserer DNA. Für mich ist das Neutralitätsgebot, das uns auferlegt ist, kein Hinderungsgrund für Klarheit und eine Positionierung. Im Gegenteil: In dem Maße, wie wir uns dafür stark machen, machen wir deutlich, dass Transsexualität kein Anknüpfungspunkt ist für Unterschiede, sondern ein Anknüpfungspunkt für Gleichstellung und Gleichberechtigung. Dies sind zwei ganz wesentliche Elemente, die ich auch auf andere Gruppen übertragen könnte, die es in der Vergangenheit und auch heute noch sehr schwer hatten und haben, in der Gesellschaft Fuß zu fassen. Arbeit und Ausbildung sind ganz wesentlich, um in der Gesellschaft anzukommen. Deswegen gehört das für uns zusammen.

Pride Magazin: Welche Erfahrungen gibt es in Ihrem Hause im Umgang mit queeren Kund*innen, speziell mit trans Arbeitnehmer*innen?

Fock: Die Erfahrungen sind sehr unterschiedlich, sowohl was die Zahl der Personen betrifft, als auch die Zahl der Fälle, wo dieses Kriterium für das Thema Vermittlung, Beratung oder Integration in den Arbeits- und Ausbildungsmarkt von Bedeutung ist. Das ist ja nicht in allen Fällen so. In dem Maße, wie eine Beraterin oder ein Vermittler aus dem Kontakt mit einer Kundin oder einem Kunden erkennt, dass dies doch von Relevanz für die Integration ist, um gelingend und nachhaltig in Arbeit und Ausbildung integriert zu werden, ist das ein Umstand, der benannt gehört. Das verlangt neben dem bereits erwähnten Vertrauen auch ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen und an Wissen, um eine konstruktive Lösung zu ermöglichen. Dazu braucht es auf beiden Seiten ein gewisses Maß an Sensibilität. Wir haben hier zugegebenermaßen noch geringe Erfahrungen und müssen uns da herantasten.

Pride Magazin: Vielen Menschen fehlt die Erfahrung mit Personen, die bestimmten Minderheiten angehören. Zu Ihnen in die Arbeitsagentur kommen Menschen, die Hilfe in Anspruch nehmen wollen, und auf Berater*innen bzw. Vermittler*innen treffen, die ggf. keine oder nur wenig Berührungspunkte mit trans Arbeitssuchenden haben. Gibt es hierfür so etwas wie ein Diversity-Training für ihre Beschäftigten?

Fock: Eine klassische Qualifikation oder ein Lehrbuch haben wir nicht, aber eine kollegiale Supersivion. Wir haben eine freiwillig zusammengewürfelte Gruppe von Kolleginnen und Kollegen, die sich nach innen im Kontext von Diversity kennenlernen, einen persönlichen Austausch haben und feststellen, in welchen verschiedenen persönlichen Funktionen sie jeweils unterwegs sind. Das ist der Anknüpfungspunkt für den Austausch, etwa von Knowhow. Der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit hat sich schon sehr früh zum Thema Diversity bekannt, hier gibt es auch eine Selbstverpflichtung. Aber letztlich steht und fällt es mit der Beratungs- und Vermittlungssituation.

Pride Magazin: Worauf kommt es hier besonders an?

Fock: Nach unserer Erfahrung ist gar nicht so entscheidend, dass es eine spezifische Beratungskompetenz gibt. Es muss vielmehr im Rahmen der allgemeinen Kompetenz eine Bereitschaft und Sensibilität für bestimmte Aspekte, die den Vermittlungs- und Integrationsprozess berühren, vorhanden sein. Da kann es in einem Erstkontakt sein, dass die Fragestellung gar nicht erkannt wird, sondern erst in einem nachfolgenden Kontakt zur Sprache kommt. Etwa, wenn ein vermeintlich passendes Angebot nicht zum Erfolg führt und man gemeinsam überlegt, woran das gelegen haben könnte. Dann beginnt häufig erst dass, was man sich in der ersten Begegnung gewünscht hätte. Etwa zu fragen, was in der Erstellung der Bewerbungsunterlagen oder in der Vorbereitung auf ein Auswahlgespräch mit Blick auf die Offenheit oder Nicht-Offenheit dazu beigetragen, dass nicht das gewünschte Ergebnis herausgekommen ist. Da ist es wichtig, nicht nachzulassen und sich einerseits sensibel, andererseits offensiv anzunähern.

Pride Magazin: Was sind nach Ihrer Erfahrung die größten Herausforderungen für Ihre queeren Kund*innen auf dem Arbeitsmarkt?

Fock: In der gegenwärtigen Situation, in der es eine hohe Nachfrage gibt, ist die wesentliche Frage: Was zeichnet mich eigentlich aus, wo liegt mein Potenzial? Trans Menschen haben in diesem Zusammenhang, je nach Stadium ihres ganz persönlichen Prozesses, ganz unterschiedliche Ängste, Fragen oder Unsicherheiten, wie sie den klassischen Vorbereitungsprozess (was will ich, was kann ich?) mit diesem ganz persönlichen Prozess verbinden. Beide Stränge bedingen sich, sind aber auch autonom. Ich glaube, dass sowohl der eine wie auch der andere fordernd und anstrengend ist. Und da kann es sein, dass man den persönlichen Fragen erstmal mehr Raum geben muss, was bedeutet, dass der Vermittlungsprozess nachrangig ist. Klassischerweise kommen Existenzfragen und ökonomische Fragen dazu, die Druck in den Integrationsprozess bringen, auch wenn der persönliche Prozess noch gar nicht so weit ist und eine Überforderung eintritt. Das ist die ganz besondere Herausforderung.

Pride Magazin: Ein erfolgreich bewältigtes Coming-out kann aber auch eine Stärke sein, in der Arbeitgeber*innen Potenziale sehen.

Fock: Absolut. Wer diesen Prozess bewältigt, hat einen Reflexionsprozess hinter sich, den andere Menschen durchlaufen haben. Das fällt positiv ins Gewicht.

Pride Magazin: Deutschland fehlen die Fachkräfte, und der Arbeitsmarkt entwickelt sich immer stärker zu einem Arbeitnehmer*innenmarkt. Ist das Diversity-Management hier ein Vorteil für Unternehmen im Kampf um die besten Köpfe? Und kann das in kleinen, mittelständischen Unternehmen oder Handwerksbetrieben überhaupt funktionieren?

Fock: Natürlich tun sich Unternehmen mit größeren Personal- oder Qualifizierungsabteilungen hier leichter im Bekenntnis zur Vielfalt und in der Kommunikation bestimmter Werte nach außen. Bei den kleineren Unternehmen, die diese Erfahrungen nicht haben, gibt es die Möglichkeit, diesen Austausch über die Zugehörigkeit zu einer Kammer oder die Mitgliedschaft in einem Verband zu suchen. Das machen auch viele. Unsere Aktivitäten im Rahmen der Pride Week und die Teilnahme am CSD sind für uns auch deshalb so wichtig, weil der eine oder die andere dadurch auf die Idee kommt, auch eine neutrale Institution wie die Bundesagentur für Arbeit zu befragen – sei es als Arbeitgeber oder als Ausbilder. Das Thema kann einen Arbeitgeber oder ein Team ja auch sehr überraschend treffen und Unsicherheiten auslösen. Da kommt es sehr auf die Führungskräfte an, wie sie mit der Situation umgehen. Es ist geradezu menschlich, unsicher zu sein, sich aber auch Rat zu holen.

Pride Magazin: Wie divers bzw. queerfriendly sind Sie als Arbeitgeber?

Fock: Positiv formuliert ist das kein Kriterium, an dem wir Entscheidungen festmachen. Ich habe bereits von der Gruppe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gesprochen, die sich bei uns zu diesem Thema gefunden haben. Sich in den unterschiedlichen Funktionen begegnen zu können, setzt an den Kompetenzen an – ohne Ansehen der Personen, sondern festgemacht daran, was jemand willens oder in der Lage ist einzubringen. Das darf sich bei uns noch gerne weiter herumsprechen, aber hier ist der Keim gelegt. Und ohne das als Ruhmesblatt verstanden wissen zu wollen, gehören wir zu den ersten Arbeitsagenturen in Deutschland, die zum CSD die Regenbogenflagge gehisst haben.

Pride Magazin: 2019 haben Sie die Aktion „Arbeit hat viele Gesichter“ gestartet. Was verbarg sich dahinter – und was ist daraus geworden?

Fock: Wir nutzen dieses Motto sowohl für die Binnen-Rekrutierung als auch gegenüber der Kundschaft. Corona hat uns da ein wenig ausgebremst. Aber wir haben damit wirklich etwas ausgelöst. Begonnen bei der Beschäftigung mit der Bundes-Flaggenverordnung bis hin zum einheitlichen Auftreten als Fußgruppe beim CSD.

Pride Magazin: Welche Aktionen plant die Arbeitsagentur in der Pride Week?

Fock: Wir wollen gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen des Jobcenters team.arbeit.hamburg wieder eine starke und gut sichtbare Fußgruppe bilden. Zu Beginn der Pride Week werden wir mit einer Veranstaltung im Pride House Beispiele geben: Katharina Fegebank und Gustav Peter Wöhler als Mitglieder des Kuratoriums der Hamburgischen Regenbogenstiftung werden dabei unter der Moderation von Nils Haupt von Hapag Lloyd aus eigener Erfahrung berichten, was das Thema für sie persönlich bedeutet. Anschließend zeigen wir mit Arbeitgebenden unterschiedlicher Größen- und Erfahrungsordnung zum Thema queer, trans und Diversity im Allgemeinen Beispiele, wie sie mit dem beschriebenen Prozess der Vorbereitung und Bewerbung für den Einstieg oder den beruflichen Wechsel umgehen. Diese Beispiele sollen Mut machen, ohne dass sie die Schwierigkeiten negieren, und zeigen, wie man diese Schwierigkeiten überwinden kann. Denn hier sind weder die Arbeitgeber noch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer allein.

Sönke Fock leitet die Hamburger Agentur für Arbeit